Wer darf das Gute finanzieren?

Felix Oldenburg
6 min readDec 16, 2022

Wie private Vermögen nicht Teil des Problems, sondern Teil der Lösung werden können. Vier etwas unbequeme Fragen und Antworten.

Wer kann, wer soll die Klimakrise lösen, die Demokratie erhalten, für benachteiligte Gruppen eintreten? Beruflich selbst seit 20 Jahren in missionsorientierten Organisationen unterwegs und privat überwiegend von sozial-ökologisch bewegten Menschen umringt, bin ich mit den politischen Reflexen der Weltverbesserer-Szene gut vertraut:

“Lieber Staat als Markt, lieber keine Macht für niemand als zu viel Macht bei wenigen.”

Da fühlt es sich schon wie eine Provokation an, den Finanzierungsbedarf dringender Herausforderungen mit den finanziellen Möglichkeiten privilegierter Menschen zu verknüpfen. Die Einwände kenne ich in- und auswendig: Haben nicht manche Vermögen historisch genau mit den Problemen zu tun, die es jetzt zu lösen gilt? Sollte es die wachsende Ungleichheit überhaupt geben? Wären nicht höhere Steuern besser als individuelles Gutdünken?

Gute Fragen.

Angesichts der drängenden Finanzierungsbedarfe überzeugt mich das rigorose “Entweder-richtig-oder-gar-nicht” aber nicht mehr. Ich glaube, wir brauchen ein einladendes “Sowohl-als-auch”: Eine Gesellschaft, die demokratisch legitimiertes und steuerfinanziertes staatliches Handeln mit einem Freiraum für privates Engagement verbindet, auch für das Engagement mit Vermögen und mit hohen Einkommen.

Die Situation ist ja paradox: Auf der einen Seite kommen die Bedrohungen immer näher, man findet kaum noch jemanden, der mehr privaten Einsatz nicht für nötig hält. Auf der anderen Seite stagnieren die traditionellen Sinn-Angebote: In den vergangenen Jahren wurden zwischen 20 und 40 Milliarden Euro weniger gestiftet als es nach den wachsenden Vermögen zu erwarten gewesen wäre. Und Menschen mit höheren Einkommen spenden prozentual nur halb so viel, etwa 0,5% ihrer Einkünfte, im Vergleich zu denen mit kleinen und mittleren Einkommen.

Also alles nur Lippenbekenntnisse? Nein, ich glaube, die Bereitschaft ist echt. Damit aber viel mehr Menschen auch so viel tun wie sie wollen und können, müssen wir Antworten auf unbequeme Fragen wie diese diskutieren:

Was sind Vermögen für unsere Kinder noch wert?

Vermögen ungeschmälert in die nächste Generation zu übergeben, was bedeutet das eigentlich, wenn die Kosten der Nichtbewältigung etwa der Klimakrise nicht nur an irgendeinem anderen Ort der Welt und irgendwann eintreten, sondern hier und innerhalb von wenigen Jahrzehnten? 250 bis 400 Milliarden Euro werden in Deutschland jährlich vererbt. Was kann sich die nächste Generation in einer drei oder vier Grad heißeren Welt davon noch kaufen? Muss sich nicht jede Finanzierungsentscheidung daran messen lassen, ob sie hilft, gewaltige Folgekosten oder Entwertung zu vermeiden?

Das Rote Kreuz rechnete die „Cost of Doing Nothing” kürzlich vor: In zehn Jahren kostet der Schutz vor den Folgen des Klimawandels bereits zwei bis sechs mal so viel wie heute. Trotz Inflation beteiligt man sich hierbei vielleicht am besten Geschäft der Wirtschaftsgeschichte. So jedenfalls betitelte es neulich der eher wirtschaftsliberale Podcast Deffner&Zschäpitz, der das Gespräch mit mir so zusammen fasste: Der neue, kategorische Imperativ des Vermögenserhalts für das 21. Jahrhundert könnte lauten: „Frage Dich, was Deine Kinder von Deiner Investition heute halten würden.”

Die Kinder- und Enkel-Rhetorik begegnet uns ja mittlerweile in jedem zweiten Bankprospekt. Die dort beworbenen nachhaltigen Geldanlagen aber vermeiden zwar hoffentlich die schädlichsten Nebenwirkungen, sind aber von aktiven Investitionen in Problemlösungen weit entfernt. Wenn es darum geht, ganze Vermögen an die Arbeit für das Gute zu bringen, stellt sich die radikalere Frage:

Wie können wir Märkte nutzen statt nur Ertragskrümel zu spenden?

Heute noch trennen die meisten Anlegerinnen kategorisch zwischen Vermögensanlage mit Renditeabsicht auf der einen und Vermögensengagement mit “Totalverlust” (Spenden).

Es ist dabei wie beim Rennen zwischen Hase und Igel: Wenn die Spende ins Ziel läuft, hat die Vermögensanlage, aus der sie resultiert, schon das Folgeproblem produziert. Das liegt auch am System: Institutionelle Vermögensverwalter sind schon durch die Regulierung gezwungen, für ihre Kunden weder bei Risiken noch bei Renditen außerhalb enger Rahmen zu denken. Es liegt bisher an den Vermögenseigentümern selbst, die dritte Dimension nachzufragen, die aktiven Beiträge etwa zur Finanzierung der Entwicklungsziele der Vereinten Nationen. Wer diese Beiträge nicht nur in Form von Spenden, sondern von der Vermögenssubstanz erwartet, muss heute enormen Aufwand betreiben. Die entsprechenden Impact Investment Fonds sind für Kleinanleger kaum verfügbar und erfordern in der Regel hohen finanziellen und juristischen Aufwand.

Das doppelte Versprechen von positiver Wirkung und Rendite kommt nicht überall gut an: Dass sich eine gute Absicht nicht wirtschaftlich lohnen darf, ohne ihren sittlichen Wert zu verlieren, steckt in vielen Köpfen — häufiger übrigens in denen, die von der deutschen Aufklärung als vom englischen Pragmatismus geprägt sind. Besonders auffällig ist dieser Widerspruch dort, wo Vermögen eigentlich nur einem guten Zweck dienen dürfen: Bei Stiftungen und anderen gemeinnützigen Organisationen.

Wann befreien wir die gemeinnützigen Vermögen?

Niemand weiß, wie groß die gemeinnützigen Vermögen in Deutschland sind. Allein für die Stiftungen bürgerlichen Rechts werden €100–200 Milliarden angenommen. Unter uneinheitlichen, aber oft gleich doppelt restriktiven Vorgaben von Finanzamt und Stiftungsaufsicht erwirtschaftete ein guter Teil dieser Vermögen schon im vergangenen Niedrigzins-Jahrzehnt kaum Renditen.

Bei den meisten Stiftungszwecken geht es aber nicht um Ewigkeitsaufgaben wie etwa den Erhalt von Denkmälern, sondern sie drehen sich um Probleme, die heute wesentlich günstiger zu lösen sind als morgen. Wenn ihre Vermögen weder reale Erträge generieren noch in der Vermögensanlage selbst den Zweck verwirklichen, dann tun ihre Vermögen eigentlich: Nichts. Das wäre nicht weiter schlimm, wenn es nicht einen millionenschweren Steuervorteil genau dafür gäbe: Geld genau in dieses oft unproduktive Grundstockvermögen zu stecken. Freier zu verwendende Mittel sind nämlich wie jede andere Spende nur bis zu einem kleinen Teil des zu versteuernden Einkommens absetzbar.

Die Antwort liegt auf der Hand: Um diese Vermögen unter den heutigen Bedingungen von Dringlichkeit und Ertraglosigkeit wirklich im Sinne der Spenderinnen und Stifter an die Arbeit zu bringen, müssten sie in Verbrauchsvermögen umgewandelt werden können. Damit würden Tausende Stiftungen von dem Ziel des Vermögenserhalts befreit und würden ein Vielfaches ihrer aktuellen Erträge für die gute Sache aktivieren. Ein Sondervermögen von €100 Milliarden wäre auf einen Schlag vorhanden und würde nebenher eine vielfältige Szene von Förderstiftungen wiederbeleben. Denn gerade die größeren Stiftungen haben sich schleichend zu sogenannten operativen Stiftungen entwickelt, nutzen ihre Erträge also dazu, eigene Ideen mit eigenem Personal zu bezahlen.

Damit haben sie selbst auch einen der wichtigsten Einwände provoziert, der heute eine Kultur des Engagements mit Vermögen behindert: Wie stark darf privates, und insbesondere steuerbefreites Geld eigentlich Gestaltungsmacht im öffentlichen Leben ausüben?

Wer darf in einer Demokratie geben?

Als abschreckende Beispiele dienen bei den Kritikern meist amerikanische Mega-Stiftungen, die manche Regierungsbudgets in den Schatten stellen. Tatsächlich gibt es in Deutschland praktisch keine Person oder Institution, die auch nur einen Prozent des Bundeshaushalts auf die Straße bringt. So verdeckt eine Scheindebatte die eigentliche Frage: Wäre es nicht im Sinne eines freiheitlichen und anpackenden Landes, wenn sich viel mehr Menschen auf möglichst viele Arten einbrächten? Die demokratischen Spannungen einer Gesellschaft, in der nur sehr wenige die hohen Hürden zum Stiften und Impact Investing überwinden können, wäre am leichtesten ohne Nebenwirkungen heilbar, wenn diese Hürden abgebaut würden.

Es ist ein Dilemma: Es gibt in Deutschland zwei Millionen Millionäre, aber reich, das sind immer die anderen. Genauer gesagt handelt es sich um einen Fall des Gefangenendilemmas: Niemand will sich allein vorwagen. Würden aber alle kooperieren, wäre die für alle beste Lösung gefunden.

Im September zeigte der Club of Rome in seinem Bericht “Earth for All”: Das gegenwärtige Maß an Ungleichheit von Vermögen und Ressourcenverbrauch ist destruktiv für alle, und zwar auch die Vermögenden. Im globalen Maßstab zählen hierzulande die meisten dazu. Auch die vielen, die keine großen Puffer auf dem Konto haben, die sich aktuell große Sorgen machen, sie haben versteckt etwa in Versicherungen und Rentenansprüchen in der ein oder anderen Weise Vermögen, über deren positive oder schädliche Wirkung sie heute noch nicht mitbestimmen können.

Die Debatte darum, wer das Gute finanzieren soll, sie kann zu einem Kreislauf der Verantwortungsweitergabe führen. Oder vielleicht zu einem Ruf nach neuen Sinn-Angeboten, ernst gemeinten Finanzprodukten, Mechanismen der Verantwortungsübernahme. Der eigentliche Gegner ist das Zögern. Bisher hat er viele gut gemeinte Argumente auf seiner Seite gehabt. In einem Zeitalter der Dringlichkeit werden sie jedes Jahr teurer.

(Published earlier on LinkedIn here.)

--

--

Felix Oldenburg

Co-founder bcause, board gut.org, previously CEO @stiftungstweet, father, author, geek, social entrepreneur, long time with @Ashoka